Warren 08 - Die Ueberlebende by Lisa Gardner

Autor:Lisa Gardner [Gardner, Lisa]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Thriller
ISBN: 9783644401235
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00

26. Kapitel

Das Mädchen weint.

Ich kann es in dieser Dunkelheit nicht sehen, nur hören. Ich sollte etwas tun. Mich bewegen, sprechen, helfen. Ich kann nicht. Ich … kann einfach nicht. Irgendwie habe ich mich an die entfernt liegende Wand zurückgezogen. Mit größtmöglicher Distanz zu dem Mädchen sitze ich auf der Matratze, die Knie an die Brust gezogen, die gefesselten Arme um die Knie geschlungen. Ich bin zu benommen für eine Reaktion. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Hast du Schmerzen? Hast du Hunger? Hast du Durst? Ist dir unbehaglich zumute? Nein? Dann ist alles in Ordnung.

Ich fühle mich unbehaglich, denke ich aufbegehrend. Ich bin durchtrainiert, auf alles vorbereitet und erfahren. Aber das hier habe ich nicht vorhergesehen. Ich sollte auf mich selbst achtgeben, kämpfen, um mich selbst zu retten. Aber nicht … dies hier.

Es ist ein leises Weinen. Eher Wimmern als Schluchzen. So weint man, wenn man erschöpft und dehydriert ist. Wenn der normale Vorrat an Tränen aufgebraucht ist und das alles ist, was einem bleibt.

Ich erkenne dieses Weinen wieder. So war mein eigenes.

Wasser. Irgendwo auf dem Weg hierher habe ich die Wasserflasche fallen lassen. Ich sollte loskriechen und sie finden. Ich sollte loskriechen und … helfen.

Aber das ist nicht leicht. Es ist sogar entsetzlich schwer. Warum? Ich bin die, die Bilder verschwundener Frauen sammelt. Ich habe mich selbst zu Stacey Summers persönlicher Retterin erklärt. Und jetzt, wo ich die Möglichkeit hätte, wirklich und wahrhaftig zu helfen …

Ich will nicht, dass sie die ist, die sie ist.

Ich will nicht, dass sie denkt, ich könnte sie tatsächlich retten.

Ich will nicht, dass sie – dass irgendjemand – von mir abhängig ist.

Auch ihr stehen nützliche Dinge zur Verfügung. Ist das ein kalter, ein herzloser Gedanke? Er kommt mir dennoch. Nützliche Dinge. Ihre Kleider, die Gegenstände, die sie vielleicht in der Tasche hat, Klammern aus ihren Haaren. Wer weiß? Und wenn man ihr einige Freiheiten und Privilegien gelassen hat, womöglich eine Gürtelschnalle – so viele Möglichkeiten.

Ich muss jetzt vorwärtskriechen. Ich muss handeln. Sie hat ihre Ressourcen, und ein Opfer muss alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen.

Ich lasse mich nach vorn auf meine Arme und Knie fallen. Wie eine Raupe, das Gewicht auf den Ellbogen, krieche ich in der Dunkelheit vorwärts.

Sie ist zu Boden gegangen, wo ich sie angegriffen habe, vor der so plötzlich erschienenen, jetzt verschwundenen Tür. Zugezogen, fest verschlossen. Nichts weist darauf hin, dass es sie jemals gegeben hat. Die Wand ist einfach wieder eine Wand, das weinende Mädchen der einzige Beweis dafür, dass überhaupt etwas geschehen ist.

«Stacey?», flüstere ich kriechend.

Sie antwortet nicht. Wimmert nur.

Meine gefesselten Hände berühren die Wasserflasche, stoßen sie beiseite. Ich halte inne, taste nun vorsichtiger umher, bis ich sie mit den Fingern umklammern kann. Ich winde mich weiter vorwärts und stoße gegen den Körper des Mädchens.

Ein Bein. Umspannt von Denim. Blue Jeans. Die Kleine trägt richtige Kleidung, nicht wie ich nur ein lächerliches Nachthemd. Die Erkenntnis gibt mir Hoffnung. Wenn sie eine Hose anhat, dann vielleicht auch einen Gürtel. Mit einer Metallschnalle. Oh, all die Schlösser, die man knacken, all die Dinge, die man tun kann mit dem Dorn einer Gürtelschnalle.

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